Wuppertaler Schauspiel: „Phaedra“ – frei nach Seneca Viel Leidenschaft, leider leer

Wuppertal · Ein ungewöhnlich zugeschnittener Abend im Theater am Engelsgarten: „Phaedra“ – frei nach Seneca, in einer Fassung von Thomas Braus – verbindet Tanz, Schauspiel, Antike und Gegenwart. Tiefe Spuren hinterlässt das nicht.

Silvia Munzón López (links) und Clémentine Deluy als sozusagen verdoppelte Phaedra.

Silvia Munzón López (links) und Clémentine Deluy als sozusagen verdoppelte Phaedra.

Foto: Uwe Schinkel

Inszeniert und choreografiert von Pascal Merighi und Thusnelda Mercy von der „Tanzstation“ im Barmer Bahnhof, sind die 75 Minuten auf der magisch gestalteten und beleuchteten Bühne (Chloé Wasselin-Dandre) ein optisches und inhaltliches Experiment.

Phaedra ist die zweite Frau von König Theseus, einem wahren Superhelden der griechischen Antike. Während ihr Mann sich jahrelang in der Unterwelt umtut, verliebt sie sich hoffnungslos in ihren Stiefsohn Hippolyt. Der aber interessiert sich nicht für amouröse Gefühle. Sie sind „ein Wahn“ für ihn. Er will nur mit und in der Natur leben. Als Phaedra nicht zum Liebesziel kommt und Theseus überraschend aus der Hölle zurückkehrt, bezichtigt sie Hippolyt ihrem Mann gegenüber des Missbrauchs. Der beschwört seinen Vater Poseidon, und Hippolyt wird bei einer Fahrt am Meeresufer von einem Ungeheuer aus dem Wasser zerrissen.

Dieser etwa 2.000 Jahre alte Stoff aus der Feder des römischen Philosophen und Dramatikers Seneca wirft Fragen auf: Nach den ungleich verteilten Kräften von Vernunft und Leidenschaft, nach dem Gewicht gesellschaftlicher Konventionen, nach den Folgen des bewussten Rückzuges aus dem Getriebe der „normalen“ Welt. Jedoch: Die zahlreichen Fäden, aus denen dieses Wuppertaler „Phaedra“-Netz gesponnen ist, finden nicht zusammen.

Sicher – man kann das Schicksal des Hippolyt nach heutigen Maßstäben lesen. Dass also jemand, der sich nur der Natur verschreibt (siehe Lützerath und/oder Osterholz) von der Gesellschaft verstoßen, verleumdet, gar zerstört wird. Oder dass zu große und/oder unerlaubte Gefühle dramatische Folgen haben können. Aber: Es packt einen nicht.

Das Ensemble punktet mit viel Engagement. Phaedra selbst ist auf dieser Bühne gleich zwei Frauen: Silvia Munzón López und die frühere Pina-Bausch-Tänzerin Clémentine Deluy. Wie sich bewegende Pflanzen agieren beide um- und miteinander. Texte und Körper – eine leidenschaftliche Doppel-Frau. Und Clémentine Deluy überragt Silvia Munzón López. Thomas Braus spielt den Vater Theseus sowie Sohn Hippolyt. Als Theseus mit Schwert, Schild, Netzhemd, Lederhose und auf hohen Kothurn-Plateausohlen setzt er (Ober-)Körper und Stimme intensiv in Szene. So kennt man ihn. Als Hippolyt ist er leiser, verhaltener. Eine Überraschung Kenji Takagi: Der Ex-Pina-Bausch-Tänzer spielt mit viel Facettenreichtum Phaedras Amme, die immer das Beste will – und damit krachend scheitert.

Applaus verdient die Idee, den Chor des antiken Dramas hier zum Clowns-Chor mutieren zu lassen. Im Bühnendunkel elektrisch beleuchtete Clownsmasken kommentieren, erläutern, diskutieren die Lage. Und gelacht werden darf auch: Als Theseus aus der Unterwelt heimkehrt, interessiert sich zuerst kaum jemand für den glanzvollen König von Athen. Dass aber diese „Lächerlichkeit“ sich plötzlich in Theseus‘ Verwünschungsraserei wandelt – das beißt sich. Gegenwartsanspielungen („Drama, Drama“) und die machtvollen Bilder der Antike wollen in dieser „Phaedra“ nicht zusammenpassen.

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